Wie wir auf Spieluhren kamen

In den 90er Jahren reiste die Entwicklungshelferin Ute Craemer  durch Deutschland und warb um Unterstützung für ihre Projekte in Sao Paulo (Brasilien). Auch bei uns in Evinghausen hielt sie einen Vortrag und berichtete über die „Favela Monte Azul“, ein Elends-Viertel am Rande der Millionenstadt. Sie erzählte von ihrer Arbeit mit den Menschen dort, die in bitterer Armut und Not leben. Nur wenige Besucher waren zu dem Vortrag gekommen, das war enttäuschend. Aber zu den wenigen gehörte meine Frau Dörte. Dörte war beeindruckt von Ute Craemers Projekt und fasste den Entschluss, es zu unterstützen.

Dörte war Weberin und hatte eine Fachschule für Gestaltung besucht. In ihrer Werkstatt entstanden  schon früher kunstgewerbliche Gegenstände: Gewebtes, Grafiken, Schmuck, Kinderspielzeug …. diese Dinge wollte sie am Weihnachtsbasar der Waldorfschule verkaufen und den Erlös der Favela Monte Azul schenken. Die Basarleitung, die sonst nur Aktivitäten zugunsten der Schule gestattete, erhob keinen Widerspruch, weil es eine gemeinnützige Einrichtung ist, die da unterstützt wurde.

Nun fertigte Dörte Spieluhren aus Sperrholz an, bei denen eine kleine Figur durch ein Landschaftsbild wandert, angetrieben durch ein Musikwerk  mit Schnuraufzug. Diese Spieluhren wurden auf dem Basar bewundert und waren begehrt; in kürzester Zeit waren sie alle verkauft.  Seitdem biete ich bei jedem Basar  in Evinghausen Spieluhren an. Und jedes Jahr wird ein stattlicher Geldbetrag an die Favela Monte Azul überwiesen. In 2017 waren es 5000 Euro;   2019 wieder der gleiche Betrag.

Im Herbst 2004 besuchten wir - Dörte und ich - die Favela Monte Azul in Brasilien. Wir waren innerlich tief bewegt von diesen Eindrücken, von der Armut, aber auch von der Herzlichkeit, mit der wir da empfangen wurden. – Nicht lang danach, im Februar 2006  starb meine Frau. –

Meine Kinder ermunterten mich, mit den Spieluhren weiter zu machen.

Dörtes Bilder waren ja noch zugänglich. Ich fertigte Kopien davon an und konnte damit ihre Modelle weiterhin bauen. - Im Lauf der Jahre kamen  neue Bilder hinzu; teils von Heike Hofmann, teils von mir. Wir wählten unsere Motive zum Teil in Anlehnung an bekannte Kinderbücher, während Dörte ihre Bilder ganz frei von Vorbildern gestaltet hatte; immer geheimnisvoll, mit vielen versteckten Einzelheiten, mit vielen Tieren, Gnomen, Elfen …

Die Musikwerke kaufe ich bei der Firma Spieluhr.de. Sie müssen vor dem Einbau in das Bild geöffnet und mit einer längeren Schnur ausgestattet werden. -  Die Kosten für Sperrholz, Kopien und Musikwerk übernehme ich selbst, sie betragen ca. 14.- Euro pro Spieluhr. Die Arbeitszeit beträgt 7 bis 10 Stunden pro Spieluhr. - Der Erlös von 47.- Euro (pro Spieluhr) geht unvermindert nach Monte Azul über die GLS-Bank in Bochum, die keine Bearbeitungsgebühr einbehält. Wie gesagt: die Materialkosten behalte ich nicht ein, sondern stifte sie - zusätzlich zum Arbeitseinsatz.  Persönliche Rückmeldungen aus Monte Azul zeigen, dass das Geld dort wirklich ankommt.

Ich bin jetzt 82 Jahre alt und mache die Sache als Hobby. Wie gesagt, verdiene ich nicht an diesem Geschäft, sondern spende Material und Zeit. Wenn ich an meiner Werkbank stehe und Spieluhren mache, sind die Gedanken oft bei den Kindern von Monte Azul; ich denke aber auch an die Kinder hier in Deutschland, die ihren Tag mit der Spieluhr  beschließen werden.

Andreas Geiger